Vorbetrachtung zur Mitgliederversammlung 2023

Und wieder ist ein Jahr vergangen und einer liebgewordenen gesetzlich vorgeschriebenen Tradition folgend, trifft sich die 25.000 Köpfe zählende Dynamo Familie im kleinen Kreis im Kongreßzentrum zu Dresden. Den Herren (und vielleicht sind auch ein paar Damen darunter) der schreibenden Zunft wird möglichweise nach altem Brauch zu Beginn der Zusammenkunft der Eintritt verwehrt. Trotz mehrheitlich recht solider Berichterstattung über das vergangene Jahr, zieht das eine oder andere schwarze Schaf nach wie vor den gesamten Berufsstand herunter, sodaß im Sinne der Hoffnung auf Selbstreinigung der gesamten Gilde wieder eine kollektive Haftung auferlegt wird. Also so ähnlich wie es die DFB Gerichtsbarkeit bei uns mit Zuschauerausschlüssen für Verfehlungen Weniger schon oft praktiziert hat. Privilegiert sind dann diejenigen, welche neben dem Presseausweis noch eine Dynamo Mitgliedskarte haben.

Die verdiente Huldigung der aktuellen Mannschaft samt sportlich Verantwortlichen wird wohl in diesem Jahr nicht im würdigen Umfang stattfinden, da zur Mittagszeit des darauffolgenden Tages der Nachholer im weit entfernten Ostfrankreich angepfiffen wird, weil der Ersttermin einer Mischung aus ungenügender Wettervorhersagequalität, schludriger Bauausführung bei der Rasenentwässerung des dortigen Sportplatzes und über Jahre advokatisch ausgefochtener Schuldzuweisung dieses Mißstandes zum Opfer fiel.

Was gibt es also an Attraktivem zur MV 2023, das ein Erscheinen außerhalb der Mitgliederpflichtaufgaben rechtfertigt?

Da sind zunächst die Wahlen zu den drei Gremien, welche sich um Satzung und Konfetti, Law and Order sowie Spiel, Spaß und Spannung für die Jugend kümmern. Kurzum: Die Mitglieder von Präsdium, Ehrenrat und Jugendrat erhalten ihre Amtsbestätigung oder werden möglichweise ersetzt. Die Kandidatenlisten sind leider auch hier wieder recht übersichtlich, sodaß wenige personelle Alternativen zur Verfügung stehen. Aber mal ehrlich, Dynamo im Herzen zu tragen ist so viel leichter, als Dynamo in Verantwortung mit teils hohem zeitlichen und vor allem unentgeltlichem Aufwand zu vertreten. Der Volksmund nannte das mal Ehrenamt und dies wurde einstmals sehr hoch gehalten. Lang, lang ist es her, um so dankbarer sollten wir sein, daß es dennoch Personen gibt, welche sich dies antun möchten. Knackpunkt bei den Wahlen wird sicher die aufkommende Kritik am Präsidenten sein, wegen der etwas gutsherrlich anmutenden Auftritte und Ansichten sowie seiner Praxis in vereinsinternen Verfahren. Aber das wird wie immer leidenschaftlich und demokratisch abgehandelt werden, wie es sich im Familienkreise gehört.

Spannender wird jedoch das Thema Frauen bei Dynamo. Nein, nicht am Ticketschalter (gibt es solche Schalter überhaupt noch?) oder im K-Block oder im Aufsichtsrat. Frauen im Dynamo-Dress auf unserem heiligen Rasen. 70 Jahre kam Dynamo ohne Frauenfußball aus und wurde trotzdem zu dem, was es heute eben ist. Eine Sportgemeinschaft als reiner Männer- und Jugendfußballverein mit Hochleistungsanspruch. Zweigeschlechtlich auf den Rängen vereint in Tränen der Freude, des Leides und gelegentlich auch in Folge eines Reizgaseinsatzes.

Von Liverpool bis Spree-Athen,
von Glasgow bis Schwerin,
von Leningrad zum Aue-Schnee,
hier regiert die EssGeeDee.

Solche oder ähnliche Schlachtenbummler-Poesie zu einschlägigen Gassenhauern sind dann spontan als bleibende künstlerische Werke unseres Männersportvereines entstanden. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten, welche ganz im Sinne der Gleichberechtigung auch für Frauen reglementiert werden. Im zweijährigen Hype von Frauen EM und WM, im Trend feministischer Politik und im Sinne der Gleichbehandlung der Geschlechter haben die obersten deutschen Fußballbosse* beschlossen, Frauenfußball als Lizenzauflage im Profifußball festzuschreiben.
*Gendern müssen wir hier übrigens nicht, da der Vorstand des DFB gänzlich ohne Frauen auskommt.

Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man stellt im Verein Frauenmannschaften auf und läßt diese spielen. Gibt es schon immer oder zumindest länger bei einigen Vereinen. Für diese ändert sich nichts. Oder „mann“ fusioniert quasi mit der Frauenabteilung eines bestehenden Vereines. Dann ist man quasi verheiratet.
Oder man greift kavaliersmäßig, und mit allem Charme des eigenen Vereines den sportlichen Frauen, bereits organisiert in der Region, höflich und infrastrukturell unter den Arm und versucht zusammen mit den Damen, deren Freizeitsport attraktiver und annehmlicher zu gestalten. Aber deren Selbständigkeit bleibt unangetastet. Sozusagen eine wilde Ehe oder Freundschaft Plus, wie immer man die Metapher auch betiteln will.
Und letztendlich gibt es noch die ganz harten, sozusagen die Machos und Mönche unter den Fans des Männersports. Man verweigert sich. Da es sich nur um ein B-Kriterium der Lizenz handelt, ist es ablaßhandelsfähig wie der Obolus an den Papst gegen das Verbrennen im Fegefeuer, das Schutzgeld an den Paten des Viertels oder die Kohlendioxidabgabe, um sich von seinen Sünden freizukaufen. So wollen dies z.B. die „Eisernen“ in Berlin praktizieren.

Bei Dresdens Dynamos birgt dies natürlich Konfliktpotential, zwischen Traditionalisten und vom Zeit(un)Geist Getriebenen, welche gleich die Heirat der Rähnitz Mädels mit uns anstreben. Mit Ehevertrag selbstverständlich. Das hatte sich zur letzten MV bereits angedeutet und soll nun in den ersten Akt der partnerschaftlichen Anbahnung. Eine Liebesheirat würde dies ohnehin nicht werden. Die Frage stellt sich lediglich, WIE die Fetzen fliegen werden. Immerhin sind wir eine schrecklich nette Familie, welche bereits vor zehn Jahren ein halbherziges kooperatives Techtel-Mechtel mit den Fortuninnen versucht hatte.
Für eine mögliche Inobhutnahme der Fortuna Spielerinnen im Verein müßte einmal an der Satzung herumgeschraubt werden. Vielleicht scheitert das Hochzeitsprojekt ja bereits an dieser Hürde.

Was steht sonst noch auf der Tagesordnung? Eine zu erwartende Debatte, ob Vereinsmitglieder innerhalb des Vereins bei Streitigkeiten mittels vom Verein bezahlten Advokaten aufeinander losgehen dürfen oder ob man dies lieber in altbewährter Manier von Angesicht zu Angesicht im 1:1 vor dem Ehrenrat, ersatzweise dem Kulti oder VIP Casino austrägt. Und ob einem begnadetem Musiker und Veranstaltungsmanager, zweifellos einer renommierten Dresdner Persönlichkeit, wegen eines fast 35 Jahre alten musikalischen Auftragswerkes, welches heute immer noch akustisch und stimmungstechnisch im Stadion präsent ist, deswegen gleich die Ehrenmitgliedschaft angetragen werden muß? Allerdings dem Texter dieses 1989 entstandenen Stückes „Wir sind der 12. Mann“ nicht. Und auch nicht den Bands Winni II und Dolly D., welche Dynamo mit ihren Werken über Jahre hinweg bereicherten.

Diese Ehrenmitgliedschaft wurde im letzten Jahr an den fast 20 Jahre ehrenamtlich als Ehrenrat tätigen Wolfgang Lessing und an den unvergleichlichen doppelten Aufstiegstrainer Christoph Franke verliehen. Viele sind der Meinung, daß dies die Dimension und Intention für die Verleihung dieser Würde sein sollte. Die Beitrags- und Ehrenordnung sagt zwar nicht im Detail, aber im Kontext im Sinne von Verdiensten auch genau dies aus.

Der Tisch ist also doch wieder gedeckt um das jährliche Familienfest mit der entsprechenden Würze aus Rhetorik und Leidenschaft, Huldigung und Kreuzverhör, Absingen der Gemeinsamkeiten und interessanter Zwiegespräche zu versehen.